Der Paketbote deponiert das Paket beim Hauseingang, anstatt zu klingeln - zack, eine öffentliche Beschwerde auf Twitter. Eine Mutter platziert einen verärgerten Post über Pizzakartons und Bierdosen am Morgen auf einem Spielplatz auf Facebook. Dem Politiker stossen die Klima-Demonstranten derart sauer auf, dass er sie unablässig mit halben Wahrheiten und ganzen Hasstiraden auf allen erdenklichen Online-Kanälen verunglimpft.
Der deutsche Philosoph Michael Schmidt-Salomon spricht vom Zeitalter des “Empörialismus”, in dem wir leben. Das Problem ist freilich nicht die Tatsache, dass wir uns über alles und jedes enervieren - gerade in der mehr und mehr wohlstandsverwahrlosenden Schweiz. Was heute Facebook, Twitter oder einschlägige Foren sind, waren früher die Stammtische - und sind es immer noch. Da wird in der Dorfbeiz nicht weniger lautstark, herablassend und besserwisserisch verhandelt als im Internet. Glauben Sie mir. Ich bin Sohn einer Wirtin.
Das Problem ist aber, dass es im Internet keine letzte Runde gibt, nach der sich jeder auf dem Heimweg macht und das Geheul mit einem kräftigen Lüften aus der Gaststube geweht werden kann. Was im Netz geschrieben ist, bleibt. Während jene, die den Höck am Stammtisch verpasst haben, auch ihre Gelegenheit mitzupalavern verspielt haben, ist es im Internet problemlos möglich, Diskussionen - so absurd sie inhaltlich auch sein mögen - über Tage, Wochen oder gar Monate weiterzuziehen.
Wenn der amerikanische Politologe Tom Nichols sagt, “Nicht jede Meinung hat im öffentlichen Raum denselben Wert. Wir leben in einer narzisstischen Zeit des aggressiven Nichtwissens”, macht er sich zur Zielscheibe all jener, die Meinungsfreiheit verwechseln mit dem Wunsch, Rassismus, Sexismus und Lügen zu jederzeit und überall unbehelligt verbreiten zu dürfen. Und es verwundert nicht, dass 2018 für die Obmudsstelle der SRG Deutschschweiz “ein Jahr der emotionalen Erregungen” war, wieder Ombudsmann in seinem Jahresbericht schreibt.
Wo das alles noch hinführen soll? Keine Ahnung. Sicher ist: Wir haben noch viel zu lernen im Umgang mit neuen Kommunikationsmitteln. Gerade wenn diese mit bewährten Denkansätzen wie der Verunglimpfung unbequemer Gegner als Ungeziefer vermengt werden, wird der Mix aber so richtig toxisch. Da wirkt die Hoffnung, dass die Natur das Ding schon schaukeln wird, irgendwie beruhigend. Denn: Wer lange und intensiv genug Gift und Galle gespuckt hat, hat irgendwann ausgekotzt. Und dann kommt nichts mehr.
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