Radio-Helden

 «FM – Mürner am Morge. He will make your day!» Er war mein Held. Und wenn ich schreibe «Held», meine ich H-E-L-D! Jahrelang begleitete mich die Radiostimme durch den Morgen. Anstehende Tests, verschlafen, Regen auf dem Schulweg – nichts war von Bedeutung, wenn François Mürners Morgenshow auf DRS3 aus dem Radio schallte. Flotte Sprüche und cooler Sound garantierten in  meiner Adoleszenz Morgen für Morgen gute Laune. FM stand für eine Einstellung, einen Traum. Ich wollte werden wie er.

 

Zum Staatsradio habe ich es nicht geschafft, ein paar Versuche in der Radio-Provinz mussten reichen. Die Liebe zum coolen Sound und den flotten Sprüchen ist jedoch geblieben. Mit wachsender Besorgnis stelle ich jetzt fest, dass aus dem einst amtlich bewilligten Störsender DRS3 das staatlich finanzierte Schlafmittel SRF3 geworden ist. Statt Authentizität, dem Mut, frech zu sein, und dem Anspruch, Neues zu wagen, versucht der Sender krampfhaft, nirgends anzuecken. Was bei austauschbaren  oder überpräsenten Stimmen  anfängt, hört bei einem Musikprogramm auf, das unter Innovation den Versuch versteht, den Spagat zwischen der Hitparade von heute und jener von 1975 zu machen.

 

Als  Familienvater, der sich für Gesellschaft, Politik und Digital-Themen interessiert, wäre ich genau die Sorte Kunde, auf die SRF3 abzielt. Ob ich den Sender noch höre? Kaum. Viel lieber entdecke ich neue, spannende Sounds auf SRFVirus, dem kleinen, aber lauten Bruder der Mainstream-Radios von SRF. Ich  frage mich, ob es an meinen Rezeptoren liegt oder an der Fehlkonzeption der Radioprogramme, dass der Sender für die jungen Wilden bei mir mittelalterlichem Papa besser ankommt als der Sender, der für meine Altersklasse gedacht ist.

 

Eine nichtrepräsentative Umfrage bei meiner Gemahlin und Altersgenossen auf der Redaktion hat jetzt Erstaunliches ergeben: Während die Gattin beim Radiohören auf die Liftmusik von Radio Swiss Pop schwört, surft der Redaktionskollege durch den Rock-Kanal von Radio Engery online. Was heissen würde: SRF3 trifft mit seinem konzeptlosen Musikmix genau den Geist meiner Generation.

 

Nicht dass ich mich davon beeindrucken liesse. Ich werde weiter die neuen Sounds auf SRFVirus geniessen und entdecken und grosszügig ignorieren, dass ich viel zu alt bin für die jungen Wilden. Vielleicht liegt es daran, dass als konzeptioneller Gründervater ein Mann hinter SRFVirus steht, dessen Initialen lange auf jedem guten Radio zu finden waren: FM.

 

Erstmals publiziert 8. November 2014 als "StaTTgeflüster" im Thuner Tagblatt,

Kommentar schreiben

Kommentare: 0